Ich sitze fassungslos vor meinem Bildschirm und schaue mir eine Fotostrecke mit Bilder der ertrinkenden Menschen vor der griechischen Insel Lesbos an.
Das sind so viele Menschen, die um ihr Leben kämpfen, schon lange darum kämpfen und nun kurz bevor sie das Europa erreichen, von dem Sie Sicherheit erhoffen, kämpfen sie wieder. Um ihr Leben. Um das nackte Überleben.
Ich sehe Bilder von Rettungsschwimmern, die kleine Kinder aus dem Wasser retten. Fassungslos die Gesichter der Rettungsschwimmer. Entsetzen, nackte Angst und Panik auf den Gesichtern der Kinder.
Auf einem weiteren Bild sitzt eine Frau. Sie ist dort um zu helfen. Nun sitzt sie da und weint. Sie hält ein totes Kleinkind im Arm. Es ist nicht ihres, aber sie weint um dieses Kind.
Wer weint noch um dieses Kind? Wo ist die Familie, die Eltern, die Mutter. Sind sie auch ertrunken? Suchen sie ihr Kind? Wie verzweifelt werden sie sein? Werden sie am Ende denken die Flucht war ein Fehler? Ein Fehler die eine Verzweiflung gegen die andere zu tauschen? Wobei doch das Eine eine Hoffnung war.
Wie verlassen sind diese Menschen? Die Geflohenen und auch die, die ihnen dort in den rauen Wellen zur Seite stehen? Dort ist so viel Menschlichkeit, sowohl in dieser Tiefen Verzweiflung als auch in der Hingabe und Selbstverständlichkeit, mit der diese Männer und Frauen ins Wasser gehen um die Ertrinkenden zu retten.
Lesbos ist weit weg. Diese Krisen sind weit weg. Aber dieses Elend ist ganz nah. Man muss nur diese Bilder anschauen und die Gefühle zulassen die diese Bilder an uns herantragen. Diese Gefühle, die wir doch in uns tragen?
Ich schaue mir ein paar Bilder von meinen Söhnen an. Und ich stelle mir ganz feste vor wie diese wunderschönen kleinen Menschen im Wasser kämpfen. Nach ihrer Mutter schreien und ihrem Vater, der ihnen nicht helfen kann.
Ich quäle mich damit und mir laufen Tränen die Wange herunter. Das zweite Mal. Das erste Mal als ich die Fotostrecke ansah.
Ich möchte mich so quälen. Es ist nicht nötig, aber ich möchte es. Ich will damit dieses Mitgefühl in mir wachhalten mit den Geflohenen, die so viel mehr verloren haben als ich es mit vorstellen kann. Ich will nicht abstumpfen und besonders möchte ich nie so sein wie Die.
Die - die nur von Zahlen reden.
Die - die nur von den Schwierigkeiten reden.
Die - die eigentlich nur an sich denken und Dinge durcheinander diskutieren, die hier keinen Platz und keine Berechtigung haben.
Die - die Zäune bauen wollen.
Die - die von den Sorgen und Ängsten der Bevölkerung reden, aber eigentlich nur meinen, dass sie diese Ausländer, diese Fremden, die Andersgläubigen nicht wollen. Einfach nicht wollen.
Ich möchte diese Menschlichkeit der Tragödie, jeder einzelner Person dieser Tragödie spüren und teilhaben und mitfühlen. Und ich möchte dieses tote Kind in den Arm nehmen und es trösten und mich entschuldigen. Ich würde gerne von diesem Kind Abschied nehmen, weil es wohl das Einzige wäre was ich noch für es tun könnte. Ihm wünschen, dass nun alles Gut ist und das es gehen kann ohne vergessen zu werden.
Ich schaue noch einmal die Bilderstrecke an und dann ein paar Fotos von meinen Söhnen. Ich gehe durch mein Haus und meinen Garten.
Wir werden uns heute mit Freunden treffen und gemeinsam kochen und essen. Wir werden Wein trinken und unsere Kinder werden miteinander spielen.
Und ich werde das Bild von dem ertrunkenen Kind mitnehmen. Es fest in mein Herz schließen und ich werde nicht aufhören denen zu zürnen und denen zu widersprechen.
Denen, die nicht einfach erst mal einfach das tun, was zu tun ist obwohl sie dazu in der Lage sind.
Lasst die Menschen nicht ertrinken. Nicht im Wasser des Mittelmeeres, nicht in den Sorgen und Ängsten zu Hause, nicht in den Wellen des Hasses, nicht an den Schleusen der Grenzen.
Seid wie diese Rettungsschwimmer auf Lesbos. Ein Sprung ins kalte Wasser - um den Rest kümmern wir uns später.
Die Fotostrecke findet ihr hier: Drama in der Ägäis